United Kingdom  
   
Den ganzen Morgen verbringen wir auf der Brücke, denn langsam nähern wir uns Liverpool. Der erste Lootse ist auch schon wieder an Board. Die Einfahrt in den Hafen wollen wir auf keinen Fall verpassen, denn nur bei Flut und nur über eine Schleuse ist sie möglich. Es geht um Zentimeter beim Manövrieren. Bei einer Breite von nur 39 Metern bleibt Sie bei Sturm zu, es wäre viel zu riskant. Ein Schlepper vorne und einer hinten ziehen uns sachte in Position.


Kaum sind wir festgetaut, gehts mit dem Entladen der Container los. Wie auf einem Ameisenhaufen werden mit lustigen, fahrbaren Kränen die Container entladen, verschoben und wieder Neue beladen. Zeit ist Geld. Ein mobiler Hafenkranen fällt aus und unsere Abfahrt verschiebt sich mal wieder um ein paar Stunden.

 
Wir nehmen Abschied von Alie & Chris, für Sie endet hier ihre Reise. Dafür kommen Sara und Tom an Board, zwei Südengländer mit einem fürchterlich unverständlichen Akzent. Die beiden haben sogar Ihre Skier im Gepäck, sie wollen nach Kanada. Wir schnappen die zwei, und besuchen den Seemanns-Club, ein trister Laden aus den geilen 80igern. Wir spielen Pool als uns Alex aufs Natel anruft und uns fröhlich verkündet, dass unser Auto erst gestern in Halifax verschifft wurde. Super. Das bedeutet, dass wir in Belgien etwa eine Woche festsitzen. Wir spielen noch ein paar Runden und fahren mit dem hafeneigenen Chauffeur wieder zurück. Ganze 36 Stunden bleiben wir in Liverpool an Land.
 
Um Mitternacht bemerken wir plötzlich ein riesiges, schwimmendes Ungetüm in den Hafen steuern. Gespannt schauen wir der gigantischen Atlantic Concert zu, wie Sie hinter uns andockt. Sie ist das grösste Schiff, das noch in die Schleuse passt, allerding nur mit einem Schlepper. Zwei hätten da kein Platz... Das Teil ist sagenhafte 292 Meter lang und 33 Meter breit. Also noch mal 120 Meter länger als unsere MS Flottbek! Wahnsinn, das sowas schwimmt. Wir bleiben bis 3 Uhr morgens auf der Brücke, die Ausfahrt aus dem Hafen von Liverpool wollen wir miterleben.
   
Wir steuern den British Channel an und nähern uns langsam der französischen Küste, stehen auf der Brücke und sind beeindruckt vom regen Schiffsverkehr. Das Wasser wird heller. Plötzlich meint Käptn Block "tja, hier waren wir heute schon mal..." Achja? Wir dachten doch, dass das uns irgendwie bekannt vorkommt. Blauer Himmel und viel Wasser, das haben wir heute doch schon mal gesehen! Zur verabredeten Zeit, also zwei Stunden früher, hätte hier nämlich ein Lotse sein sollen. Der war aber nicht da und unser Kapitän mochte hier nicht ankern, also haben wir einfach eine Zusatzschlaufe gefahren. Der holländische Lotse bekommt dann später Einiges zu hören. Das Lotsenboot kommt dann nämlich zwei Stunden später doch noch in Sicht. Käptn Block parkiert die MS Flottbek ziemlich nahe ans Lotsenboot und meint nur hämisch: "Das haben die eigentlich nicht so gerne". Kein Wunder. Zwei der Lotsen sonnen sich in Badehosen auf Liegestühlen!
 
 

Endlich ist unser holländische Lotse an Board, und führt die Flottbek bis vors holländische Festland. Käptn Block liest ihm aber zuerst einmal ordentlich die Liviten. Gegen Abend kommt Land in Sicht, wir befinden uns an der Mündung zur Westerschelde. Hier wird der Lotse nochmals gewechselt, Martin darf den Holländer verabschieden und drückt mal kräftig das Schiffshorn. Windmühlen, Schafe, Kühe, satte Grünwiesen gespickt mit kleinen Häuschen, typisch Holland!
 
   
Eine gigantisch kitschig rote Sonne versinkt langsam am Horizont. Die Flottbek schlängelt sich an unzähligen Sandbänken herum Richtung Belgien. Wir kommen dem riesigen Hafen von Antwerpen langsam näher und um 22:00 Uhr manövriert Käptn Block das Schiff wieder perfekt ans Dock. Der Hafen von Antwerpen ist gemessen am Frachtvolumen der zweitgrösste Hafen Europas und der fünftgrösste weltweit. Für uns heisst es hier und jetzt einfach mal abwarten. Denn niemand weiss, wieviele neue Passagiere heute noch aufs Schiff kommen. Davon abhängig ist, ob wir noch ne Nacht auf dem Schiff bleiben dürfen. Wir haben auf jeden Fall mal alles gepackt uns sind auf Standby. Um 23:30 Uhr ist es wirklich so, dass wir definitiv von Board müssen. Dem Käptn ists nirgends recht. Mitfahrgelegenheit und Hotel werden zackig organisiert und wir verabschieden uns von der lieben Crew und dem tollen Käptn Block und natürlich von der Flottbek. Mit einem wehmütigen und komischen Gefühl im Bauch und völlig überstürzt betreten wir seit fast fünfzehn Monaten wieder europäisches Festland.
 
   
Belgien
 
   
Jörg Freesemann von der Wappenreederei in Hamburg nimmt uns mit und setzt uns im Docks Hotel, etwa zwanzig Minuten vom Hafen weg ab. Mit dem Taxi hätte uns das rasch 60 Euro gekostet. Übermüdet beziehen wir unser Zimmer und wir sind geschockt. Was für eine hässliche Kammer. Haben wir uns da noch beschwert über das Motel in North Bay, Ontario schlägt das hier alles bisher gesehene. 75 Euro die Nacht. Willkommen in Europa! Leider haben wir bereits für zwei Nächte bezahlt, handkehrum haben wir einen ganzen Tag Zeit, was Besseres zu finden.
 
   
An der Van Maertanstraat stürmen wir das Internetkaffee eines Iraners. Wir werden schnell fündig. An der Pelikanstraat ist das Touristhotel für die nächsten fünf Nächte unsere neue Adresse. Antwerpen liegt am Fluss Schelde, 88 Kilometer vor ihrer Mündung in die Nordsee und nahe der Grenze zu den Niederlanden. Die Stadt gilt traditionell als wichtigster Diamantenhandelsplatz der Welt. Viele Diamantenfirmen, ein Diamantenmuseum und vier Diamantenbörsen sind hier angesiedelt. Per pedes erkunden wir die Sehenswürdigkeiten Grote Markt, Stadthuis und das Schloss am Scheldeufer und erledigen zusammen mit Luc von der Herfuerth Logistic schon mal den Papierkram für unser Auto.
 
   

 

Es ist schwül und heiss. Mit dem Zug machen wir einen Ausflug nach Brüssel, die Hauptstadt des Königreichs Belgien und Hauptsitz der Europäischen Union, sowie Sitz der Nato und ferner des ständigen Sekretariates der Benelux Länder. Wir besuchen eines der Wahrzeichen von Brüssel. Den legendären Männeken Pis, eine sechzig Zentimeter kleine Bronzestatue eines urinierenden Knäbleins. Mündlich überliefert wird, dass es sich um den kleinen Herzog III handeln soll, der sich während einer Schlacht über feindliche Soldaten lustig machte. So verkörpert er heute noch frech den rebellischen Geist der Brüsseler Bürger.
 
   
Brüssel gilt auch als Hauptstadt des Comics. Figuren wie Lucky Luke und Tim & Struppi wurden hier ins Leben gerufen. Neben den unzähligen klassischen Restaurants gibts eine unüberschaubare Anzahl von Kaffees und Bistros. Wir besuchen den Grande Place mit dem gotischen Rathaus im alten Zentrum. In der Rue des Dominicains, der Fressgasse von Brüssel, überzeugen wir uns selbst von der erstklassischen Küche.
 
   
Zurück in Antwerpen sitzen wir zum zweiten Mal schon beim Türken und essen Kebab. Er spendiert uns spontan ein Leffe Bier. Ein kleiner Kontrast zu unserem Eindruck von Belgien. Hier erleben wir nämlich einen Kulturschock. Obwohl Kanada und die USA kulturell ja nicht Afrika oder Asien sind, ist es doch schräg anders hier. Die Menschen wirken grösstenteils unfreundlich und ignorant. Antwerpen selbst wirkt auf uns schmuddelig, schmutzig und auf der Strasse wird gekämpft um jeden Meter.
 
   
Wie mit Luc abgemacht, stehen wir dann endlich am 11. Juni 2007 um 11:30 Uhr bei Herfuerth Logistic im Büro. Wir füllen Jans VW Golf mit unserem Gepäck, der uns zum Ro-/Ro-Terminal von Antwerpens Hafen bringt. Auf der halbstündigen Fahrt dahin erfahren wir Interessantes über die Politik und Geschichte Belgiens. Dank professioneller Vorbereitung von Luc und den persönlichen Kontakten von Jan, dauert die Zollabfertigung in der Baracke gerade mal eine Minute. Wir haben den Schlüssel in den Händen, stehen vor unserem Dodge und atmen tief, ganz tief durch. Motor läuft, alles ist noch da. Also ab gehts!
 
   
Deutschland
 
Wir fräsen südöstlich durch Belgien, Luxemburg, an Strassbourg vorbei bis nach Rheinau-Helmlingen in Baden-Baden. Sind ja alles keine Distanzen mehr hier. Und überhaupt, jetzt wollen wir nach "Hause". Ausserdem müssen wir am Schweizer Zoll Übersiedlungsgut anmelden und dass geht nur tagsüber. Auf Empfehlung der einzigen Tankstelle im Dorf landen wir im sehr idyllisch gelegenen Landgasthof Ratz und sind nicht die Einzigen. Leider hat der dazugehörige Gasthof zu und die Türen zu den Zimmer werden per Handy geöffnet.

 
   
Eine kleine Schar von Herren im gesetzteren Alter, mit Fahrräder und Begleitfahrzeug unterwegs durch Süddeutschland, trudelt gleichzeitig mit uns ein. Schon lange nicht mehr hat man uns für diesen Preis ein solch schön gepflegtes Zimmer offeriert. Spontan laden uns die Radfahrer auf ein Bier ins nächste Kaff ein. Klar, gehen wir da mit. Im Landgasthof Zum Hechten lassen wir die Sau raus. Der Gasthof platzt schier aus allen Nähten. Da wird fröhlich gefeiert und gesungen. Beim Schnippo und unzähligen Weissbieren mit Seitenwagen wird es für uns ein unvergesslicher, bayrisch-schwäbischer Abend. Nach einer kurzen Nacht sitzen wir bereits um 8:00 morgens beim Frühstück und verabschieden uns von den fünf sehr netten, deutschen Herrschaften.
 
   
Schweiz
 
   
Wir brausen in etwas mehr als einer Stunde an die Schweizer Grenze in Basel-Weil. Ein aufmerksamer Beamter weist uns den richtigen Weg ins richtige Büro für unser Antrag auf Übersiedlungsgut. Bei den Schweizern gibts das entsprechende Formular, dass bei den Deutschen erst abgestempelt werden muss (Gemeinschaftszoll) und dann wieder zurück zum Schweizer Zoll zur Weiterverarbeitung kommt. All unsere Gepäckstücke haben wir bereits im Vorfeld auf einer separaten Liste festhalten müssen, natürlich auch unser Auto! Die ganze Prozedur dauert nur wenige Minuten und kostet lächerliche 20 Franken.
 
   
Am 12. Juni 2007 um zehn nach Zwölf haben wir wieder Schweizer Boden unter den Füssen. Ja, wirklich ein komisches Gefühl nach so langer Zeit.
 
   
Eliane und Alex erwarten uns. Wir steuern Cham an, wo die beiden zuhause sind. Als wir bei Ihnen einbiegen, ist die Freude gross, stehen doch beide schon draussen und empfangen uns winkend und hüpfend. Wir steigen aus und hüpfen mit. Wir sind wieder zurück in der Schweiz und können das erstmals nicht so ganz fassen. Das kommt dann erst noch, aber das ist dann wieder eine andere Geschichte...
 
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